Fassade Stadttempel Wien
Die Landespolizeidirektion Wien bestätigte den Vorfall von Freitagnacht gegenüber dem "Kurier".
APA/GEORG HOCHMUTH

Für Aufregung sorgt ein Video über einen wohl politisch motivierten Angriff auf den Wiener Stadttempel, das seit Samstagabend auf X, vormals Twitter, kursiert. Das Video, das auf Tiktok aufgenommen und von Bini Guttmann – einem Mitglied des Exekutivrats des World Jewish Congress – auf X verbreitet wurde, zeigt drei Personen. Während ein Mann mithilfe einer zweiten Person die israelische Flagge des Stadttempels herunterreißt, imitiert eine Frau ein Maschinengewehr. Gegenüber dem "Kurier" wurde der Vorfall von der Landespolizeidirektion Wien bestätigt. Er soll sich von Freitag auf Samstag um 2 Uhr nachts ereignet haben.

Wie die Landespolizeidirektion Wien am Sonntagnachmittag in einer Aussendung mitteilte, sei es mittlerweile gelungen, eine Tatverdächtige auszuforschen. Die 17-Jährige sei bereits vernommen worden und zeigte sich zur Sachbeschädigung geständig. Die Vorwürfe der Verhetzung bestreite sie jedoch. Die beiden anderen Täter will sie erst kurz vor dem Vorfall kennengelernt haben. Sie sollen sie zu der Aktion bewogen haben. Zudem betonte die junge Frau, stark alkoholisiert gewesen zu sein. Die österreichische Staatsbürgerin sei auf freiem Fuß angezeigt worden. Laut Polizei laufen Ermittlungen zu den anderen Tatverdächtigen.

In einer vorigen Aussendung hieß es, dass die kriminalpolizeilichen Ermittlungen vom Landesamt Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Wien geführt werden. Es werde wegen des Verdachts der Verhetzung, Sachbeschädigung und Körperverletzung ermittelt.

Zeuge versuchte, Person aufzuhalten

Laut Polizei wollten Passanten die Personen nach dem Vorfall anhalten. Ein Zeuge hatte demnach versucht, eine Person aufzuhalten. Bei dem Versuch soll er von mehreren unbekannten Personen davon abgehalten und von einem Mann geschlagen worden sein. Dadurch wurde er im Gesicht verletzt. Die Flagge wurde durch inzwischen alarmierte Beamte sichergestellt. Eine Sicherung der Videos von Kameras in der unmittelbaren Tatortnähe wurde veranlasst.

E-Mail an LPD-Wien

Der Objektschutz für die Hauptsynagoge wurde inzwischen auf 24 Stunden ausgeweitet, wie es in einer Aussendung der Wiener Polizei Sonntagvormittag hieß. Jedoch lehnte die Landespolizeidirektion (LPD) Wien laut "Kurier" zuvor einen erhöhten Schutz für Synagogen und Gebetshäuser ab. Der Bericht beruft sich auf eine E-Mail im Auftrag des DSN am 12. Oktober vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Demnach forderte der DSN fünf Tage nach dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel, dass Gebetshäuser und Synagogen in Wien durchgehend überwacht werden. Die LPD Wien habe im Auftrag des Landespolizeipräsidenten Gerhard Pürstl in einer Antwort einen Tag später alle Maßnahmen zur permanenten Überwachung widerrufen. Pürstl habe sich den Empfehlung des Geheimdienstes widersetzt und betonte nur Weisungen des Innenministeriums gebunden zu sein.

Die LPD Wien wies in einer Aussendung die Aussagen des "Kurier"-Berichts zurück. Das der Zeitung vorliegende Mail beziehe sich auf eine aufgrund einer abstrakten Gefährdungslage am Abend des 12.10.2023 von der DSN in Auftrag gegebene einmalige objektschutzbezogene Sicherheitsmaßnahme. Diese sei nur am 13.10.2023 für die folgenden 24 Stunden gültig gewesen.

Am 18. Oktober hob das Innenministerium die Terrorwarnung auf die zweithöchste Stufe. Bei einer Pressekonferenz mit DSN-Direktor Omar Haijawi-Pirchner, und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Militärkommandant Kurt Wagner betonte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), die "sichtbare Präsenz vor jüdischen Einrichtungen" in den Tagen zuvor erhöht zu haben. Personalressourcen sollten für diesen Zweck aufgestockt werden.

Karner: "Vorrang hat Schutz von Menschen"

Karner verteidigte am Sonntag das Verhalten der Exekutive, die bisher (zumindest sichtbar) nur zu den Öffnungszeiten der Synagoge präsent war. Der Innenminister war in der ORF-"Pressestunde" zu Gast, wo auch der Angriff auf den Wiener Stadttempel Thema war. Auf die Frage, wie so ein Vorfall passieren könne, antwortet der Minister zunächst, dass der Vorfall "auf das Schärfste zu verurteilen" sei. Er habe schon mit Oskar Deutsch telefoniert. "Der Vorrang war zunächst der Schutz von Menschen", nicht der Objektschutz. Man sei sich aber bewusst, dass die Synagoge in der Seitenstettengasse ein besonders sensibler Ort sei. Es habe zunächst gegolten, den Schutz der jüdischen Bevölkerung der jüdischen Gemeinde in den Fokus zu stellen, angesichts der jüngsten Ereignisse wurde der Objektschutz ausgeweitet. Zudem sagte Karner, dass wichtige Informationen nicht per Mailverkehr ausgetauscht werden.

Die Polizei betonte, dass der Fokus der Überwachung "in Abstimmung mit der Kultusgemeinde" auf dem Schutz von Menschen gelegen sei, die während der Gebets- und Öffnungszeiten des Tempels dort aufhältig seien. Nun wurde der Objektschutz auf eine permanente Überwachung umgestellt.

Fahne weht wieder

Wie der Präsident der Israelitischen Religionsgesellschaft Oskar Deutsch betonte, habe die Kultusgemeinde die Fahne im Gedenken an mehr als 1.400 Ermordete und 200 Verschleppte gehisst. Das Herunterreißen der Fahne nannte er eine "antisemitische, terrorverherrlichende Tat".

Am Sonntagnachmittag wurde wieder eine Flagge gehisst. "Wir lassen uns nicht unterkriegen", schrieb Deutsch in einem Posting auf der Plattform X.

Laut der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde wurden in den ersten 13 Tagen seit Beginn des Krieges zwischen Hamas und Israel 76 antisemitische Vorfälle gemeldet. "Im Vergleich zu den im gesamten Jahr 2022 gemeldeten Vorfällen entspricht dies einer Steigerung um 300 Prozent", sagt der Leiter der Meldestelle, Benjamin Nägele, in einer Aussendung. (awie, rroi, wisa, APA, 21.10.2023)